Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit

Der Verlust des Mitgefühls

GRUEN, Arno
München: dtv, 2015.

In Liverpool entführen zwei elfjährige Jungen einen Zweijährigen und ermorden ihn. Die Tat hätte verhindert werden können, wenn Passanten, die die Schreie des Kindes hörten, eingegriffen hätten Durch ihr Nichthandeln stellen sie sich auf die Seite der Mörder und Entführer.

Um unser Mitgefühl ist es schlecht bestellt. Woran liegt das? Es geht, so zeigt das Buch, um die Art, wie wir aufwachsen, um die Geschichte unserer Kindheit. Es geht um den Terror, dem Kinder ausgeliefert sind, und um das Umkippen dieses Terrors: Am Ende werden in unserer Zivilisation jene idealisiert, die kalt sind und die das Kind - und das Kind in sich selbst - nicht mehr wahrnehmen können. Die politischen Folgen sind katastrophal: Menschen entwickeln keine eigene Identität, sie identifizieren sich mit der Macht oder den Mächtigen. Jedoch verlieren Menschen, die eine fremde Identität aus der Indentifikation mit Macht und ihren Symbolen beziehen - ein Musterbeispiel ist der Faschismus von rechts oder links -, das Fundament ihres Menschseins. Vor allem wenn - wie heute - unsere Gesellschaft bedroht sind vom Chaos und den Auswirkungen der globalen Wirtschaftsentwicklung, droht der Ausbruch neuer Gewalt. Erst aus dem Vergleich mit primitiven Kulturen, aus erschreckenden Berichten von Überlebenden der Todeslager und aus der Beschäftigung mit den sogenannten seelisch Kranken entwickelt das Buch Alterntiven: Es könnte Wege geben, sich der Politik der Gleichgültigkeit bewusst zu werden und einen Ausweg aus der Sackgasse zu immer mehr Gewalt und weniger Mitgefühl zu finden.